Die Diakonie Deutschland bewertet den Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP als ein deutliches Signal und ambitionierten Schritt hin zur notwendigen sozial-ökologischen Transformation unserer Gesellschaft. „Mehr Fortschritt wagen“, muss beides umfassen: mutige Impulse für die Modernisierung unseres Landes und eine gesellschaftliche Verständigung über die Neuorientierung des Fortschritts.
Zum Themenspektrum Berufliche Bildung und Fachkräftesicherung
Hinsichtlich der Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsberufe begrüßen wir, dass die Fachkräftestrategie und die Nationale Weiterbildungsstrategie weiterentwickelt werden und Arbeitsbedingungen gerade in sogenannten Mangelberufen attraktiver werden sollen. Es wird im Koalitionsvertrag jedoch nicht deutlich, dass die Bildungswege sozialer Berufe und die damit verbundenen Besonderheiten – im Vergleich zum produzierenden oder kaufmännischen Bereich – Beachtung finden und ihrer bisherigen Marginalisierung entgegengewirkt wird.
Der Mangel an qualifizierten Fachkräften trifft auch die Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsberufe. Wir begrüßen die Bestrebungen hinsichtlich der Arbeitsmarkt-, Gleichstellungs- und Familienpolitik, die angestrebten Maßnahmen des Gestaltens von Bildungs- und Berufsbiographien bis zum Rentenalter, den formulierten „Schub für berufliche Aus-, Fort- und Weiterbildung“, die Erleichterung Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben und den geplanten Abbau der Hürden bei der Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen aus dem Ausland, als auch die Bemühungen um attraktivere Arbeitsbedingungen. Die entsprechenden Politikvorhaben der beruflichen Aus-, Fort- und Weiterbildung dürfen sich nicht nur auf die Bereiche, die durch das Berufsbildungsgesetz (BBiG) oder die Handwerksordnung (HwO) erfasst werden, beziehen. Die sozialen Berufe, mit Ausnahmen der Hauswirtschaft, sind nicht im dualen
Berufsbildungssystem organisiert. Es sind Spezifizierungen zur Fachkräftesicherung für die Sozialwirtschaft und ein Fokus auch für die Berufliche Bildung und Qualifizierung sozialer Berufe notwendig.
Die Diakonie Deutschland begrüßt die Stärkung und Modernisierung berufsbildender Schulen. Wichtig ist, dass bei sozialen Ausbildungswegen Berufsfachschulen und Fachschulen gleichermaßen eine Rolle spielen, da sonst Gesetze (wie bspw. AFBG) und Förderprogramme zu kurz oder gar nicht greifen (wie bspw. Förderprogramme zur dualen Ausbildung).
Der Fokus auf die betriebliche Ausbildung trifft nicht die Ausbildungslogik der sozialen Berufe. Die betonte „enge Absprache mit den Sozialpartnern“ wären für die sozialen Berufe ebenfalls wünschenswert. Die Diakonie als Arbeitgeberin hat kein Mitspracherecht bei der curricularen Ausgestaltung von Ausbildungsmodalitäten. Das ist bei den betrieblichen und kaufmännischen Berufen anders. Die sozialen Berufe sollten bei der „Exzellenzinitiative Berufliche Bildung“, bei „InnoVet“ und bei den „Begabtenförderungswerken des Bundes für die berufliche Bildung“ berücksichtigt werden. Das Startchancen-Programm sollte auch für Jugendliche und junge Erwachsene greifen, die an Berufsfachschulen lernen.
Hinsichtlich der Fort- und Weiterbildung bedarf es konkreter politischer Maßnahmen, um die Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung für den sozialen Bereich zu verbessern. Zudem fordern wir für die Fort- und Weiterbildungsanbieter, die gemeinnützig tätig sind, ebenfalls einen Digitalpakt, wie er für die Schulen aufgelegt wurde. Ein Bildungsgipfel sollte sich mit der Beruflichen Bildung und Qualifizierung sozialer Berufe befassen!
Wir begrüßen die Hervorhebung der Pflegekräfte und der staatlich anerkannten Erzieherberufe im Koalitionsvertrag. In der Pflege und in der Kinder- und Jugendhilfe brauchen wir gut ausgebildete Fachkräfte in multiprofessionellen Teams. Die Harmonisierung und bundeseinheitlichen Berufsgesetze für Assistenz- und Fachkräfte im Pflegebereich begrüßen wir. Ebenso die curriculare Überarbeitung hinsichtlich der Vermittlung digitaler Kompetenzen. Es muss ermöglicht werden, das Bildungs- und Berufsbiographien in der Pflege transparent über die Orientierungsqualifizierungen hin zu Assistenzkräften hin zu Fachkräften hin zu spezialisierten Fach- und Leitungskräften aufeinander aufbauen, gemäß der bildungspolitischen Makroziele Durchlässigkeit, Transparenz, Mobilität und des Ausbaus der Beschäftigungsfähigkeit.
Der Fachkräftemangel in der Kinder- und Jugendhilfe ist gravierend, teilweise müssen Einrichtungen ihren Betrieb deshalb einschränken. Insofern begrüßt die Diakonie Deutschland ausdrücklich, dass gemeinsam mit den Ländern und allen relevanten Akteuren eine Gesamtstrategie entwickelt werden soll, um den Fachkräftebedarf für Erziehungsberufe zu sichern und dabei einen bundeseinheitlichen Rahmen für die Ausbildung anzustreben. Allerdings sollte der bundeseinheitliche Ausbildungsrahmen die Qualität der fachschulischen Ausbildung beibehalten und sicherstellen, dass der Kompetenzerwerb auf Qualifikationsniveau 6 des DQR beibehalten wird. Zudem wäre eine sozialpartnerschaftliche Beteiligung, gerade auch mit Blick auf die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege in diesem Zusammenhang äußerst sinnvoll. Die Vergütung der Ausbildung,
die generell schulgeldfrei sein soll, ist ein wichtiger Schritt, allerdings müssen dann die Schulen in privater Trägerschaft zu 100% refinanziert werden, wie die staatlichen Schulen. Denn die Fachschulen in privater Trägerschaft leisten einen enormen Beitrag zur Fachkraftausbildung. Auch sollte der Weg in den Beruf attraktiver und auch für Quereinsteiger ermöglicht werden. Die Vereinfachung und Beschleunigung der Anerkennung informell, non-formal oder im Ausland erworbener Kompetenzen sollte mit Blick auf eine individuelle Kompetenzbilanzierung hilfreich sein. Nicht nur in der Kindertagesbetreuung, sondern auch in weiteren Feldern der Kinder- und Jugendhilfe wie bspw. der (stationären) Hilfen zur Erziehung muss für attraktive Arbeitsbedingungen, praxisintegrierte Ausbildungen, horizontale und vertikale Karrierewege, hochwertige horizontale wie vertikale Fortbildungsmaßnahmen und erleichterte Quereinstiege gesorgt werden.
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